(Lemgo/Stuttgart) Wie werden die Städte Deutschlands im Jahr 2050 aussehen? Welche Klein- und Mittelstädte schaffen es, sich gegen die Sogwirkung der Metropolen und den demografischen Wandel zu stemmen? Eine Studie der Fraunhofer-Gesellschaft im Rahmen der „Morgenstadt-Initiative“ schafft objektive, neutrale Vergleichbarkeit und zeigt strategische Handlungsfelder auf – mit überraschendem Ergebnis: Auch kleine und mittelgroße Städte haben eine hohe Zukunftsfähigkeit, wie es das Beispiel der Alten Hansestadt Lemgo in Ostwestfalen-Lippe zeigt. Das Fraunhofer IOSB-INA hat im Rahmen des IoT-Reallabors „Lemgo Digital“ die Alte Hansestadt stellvertretend für Mittelstädte unter die Lupe genommen.
Was sind die Hebel, eine Stadt in einer sich gesellschaftlich und technologisch rapide ändernden Welt attraktiv zu halten? Was bedeutet Attraktivität für die aktuellen Bewohner, hinzuziehende oder ansässige Unternehmen? Wie sieht der Nährboden für wirtschaftliches und kulturelles Wachstum sowie Lebensqualität aus? Die Morgenstadt-Initiative der Fraunhofer-Gesellschaft hat hierzu über 30 Städte in einer Studie untersucht und die Ergebnisse in vier Hauptkategorien auf den Punkt gebracht. Beispielhaft für kleinere und mittelgroße Städte hat sich die Alte Hansestadt Lemgo diesem Vergleich gestellt und taucht nun neben München, Berlin und Stuttgart auf – mit einem respektablen Ergebnis: Im Gesamtranking schaffte es die Alte Hansestadt in die Top Ten.
Die Forscher der Morgenstadt-Initiative am Fraunhofer Institut IAO (Institut für Arbeit und Organisation) arbeiten seit einigen Jahren intensiv an der Beschreibung der Zukunftsfähigkeit urbaner Räume. Mit der Erfahrung aus der detaillierten Untersuchung zahlreicher deutscher und internationaler Metropolen haben sie ein Instrumentarium entwickelt, mit dem man anhand von 28 öffentlich zugänglichen Indikatoren ein ganzheitliches Bild der Zukunftsfähigkeit einer Stadt zeichnen kann – als erste Grundlage für vertiefte Analysen vor Ort. Die Indikatoren decken die vier „Säulen“ ab, auf die sich die Stadt von morgen stützen muss. Die Indikatoren reichen von den städtischen Grün- und Wasserflächen über die Existenz von Plänen zur Klimaanpassung und dem CO2-Ausstoß bis zum Anteil hochqualifizierter Jobs am städtischen Arbeitsmarkt. Sämtliche Daten der Indikatoren sind öffentlich zugänglich und wurden innerhalb des City-Index verschieden gewichtet.
Lebensqualität, Resilienz, Umweltgerechtigkeit und Innovationsfähigkeit.
Die „Lebenswerte Stadt“
bietet ihren Bürgern Arbeitsplätze, einen Ausgleich zwischen Arm und Reich, Sicherheit, einen attraktiven öffentlichen Raum, der zu Begegnungen einlädt, und eine gute Umweltqualität. Es geht hier also um die sogenannten »weichen Standortfaktoren« sowie soziale Aspekte. Sie sind auch deshalb wichtig, weil Unternehmen sich gezielt in attraktiven, lebenswerten Städten ansiedeln, weil sie nur hier darauf hoffen können, hochqualifizierte Arbeitnehmer zu finden und zu halten.
„Resiliente Stadt“:
Diese Kategorie trifft Aussagen über die Stressresistenz einer Stadt, also die Fähigkeit, Bedrohungen, Wirtschaftsflauten und Krisen zu kompensieren. Für die Zukunftsfähigkeit ist diese Kategorie insofern von Bedeutung, als dass der Erhalt einer attraktiven wirtschaftlichen und sozio-kulturellen Infrastruktur gesichert sein muss. Hier spielen unter anderem die Schuldendienstquote, der Anteil der drei größten Arbeitgeber an der Gesamtbeschäftigung und Notfallpläne für verschiedenartige Naturkatastrophen eine Rolle.
„Umweltgerechte Stadt“:
Selbstverständlich liefern für die Zukunftsfähigkeit auch Umfang von und Umgang mit Ressourcen wichtige Kennzahlen. Umweltgerechtigkeit wirkt sich nicht nur auf das (zukünftige) Stadtklima und die Nachhaltigkeit von Lebensraum aus, sondern auch auf die Attraktivität für Unternehmen und Bewohner. In dieser Kategorie werden beispeilsweise der Ausstoß von Treibhausgasen in Tonnen pro Kopf, das Müllaufkommen in Kilo pro Kopf und Jahr oder auch der Wasserverbrauch in Litern pro Kopf und Tag erfasst.
"Innovative Stadt":
Die vierte Kategorie fasst diejenigen Indikatoren zusammen, die sich auf (potenzielle) Erfindungen und Erfinder beziehen, denn im Rahmen von zukunftsfähiger urbaner Kommunikation und neuen Geschäftsmodellen haben Innovationen eine entscheidende Bedeutung. Diese Kategorie prüft unter anderem, wie zielgerichtet Kommunen mit den Themen Digitalisierungsstrategie, Datenmanagement, und Förderung von Innovationstreibern umgehen. So werden beispielsweise die Differenz von Firmengründungen und Geschäftsaufgaben, der Anteil hochqualifizierter Stellen am Arbeitsmarkt, das Vorhandensein einer Smart City oder Digitalisierungsstrategie oder auch der Anteil der Studierenden in Prozent an der Gesamtbevölkerung einbezogen.
Ein Fazit: Technologie ist kein Allheilmittel.
Eine Botschaft für die Befürworter einer rein technisch getriebenen Entwicklungsstrategie für die Stadt steht bereits fest: Digitalisierung ist nicht grundsätzlich immer der Schlüssel zur Zukunft und vor allem kein Selbstzweck. Auf der anderen Seite zeigt der Morgenstadt-Index aber auch, dass Zukunftsfähigkeit und Innovationen miteinander verschränkt sind. Alanus von Radecki, Projektleiter der Morgenstadt-Initiative beim Fraunhofer IAO, freut sich, dass nicht nur die großen deutschen Städte mit einer vorhandenen digitalen Agenda teilgenommen haben: „Zukunftsfähigkeit ist nicht das Privileg der Metropolen, das haben kleinere Teilnehmerstädte wie die Alte Hansestadt Lemgo gezeigt. Der Morgenstadt City-Index liefert Stadtplanern und Kommunen, die ihre digitale Agenda aufsetzen oder ihre Stadt strategisch weiterentwickeln wollen, äußerst hilfreiche Anknüpfungspunkte.“ Städten, die an der Studie teilgenommen haben, rät er: „Nach dem ersten Zustandsbericht anhand des Morgenstadt City-Index ist eine vertiefte, individuelle Analyse der Stadt mit ihren einzigartigen Faktoren und sozialen, ökonomischen, politischen, technologischen und räumlichen bzw. städtebaulichen Besonderheiten notwendig.“
Nützlich für eine nachhaltige Stadtentwicklung
Eine weitere Botschaft der Studie: Das absolute Ranking ist für viele teilnehmende Kommunen eher zweitrangig. Stattdessen kann das Abbild des IST-Zustands Unterstützung für Stadtväter und -planer, Stadtentwickler und Unternehmen sein. Die Auswahl und Bündelung der ausgewählten Indikatoren bietet die Möglichkeit, sich ein Bild der aktuellen Situation zu machen und Hinweise auf die Verbesserungspotentiale geben. Innerhalb des Strategieprozesses einer Stadt liefert die Studie eine Antwort auf die Frage „Wo stehen wir?“. Das Fraunhofer IOSB-INA ist selbst Mitglied der Morgenstadt-Initiative und hat die Teilnahme der Alten Hansestadt Lemgo am Morgenstadt City-Index begleitet. Initiator des IoT-Reallabors „Lemgo Digital“ und Leiter des Fraunhofer IOSB-INA, Prof. Dr.-Ing. Jürgen Jasperneite, ist vom Nutzen überzeugt: „Auf der Grundlage des Morgenstadt City-Index werden die individuellen Stärken und Schwächen einer Kommune sichtbar und vergleichbar. Von diesem Punkt aus kann jede Kommune ihre eigene Stadtentwicklung unter Berücksichtigung digitaler Handlungsoptionen betreiben.“
Hier geht es zur Onlinedokumentation der Morgenstadt-Initiative.